50 Jahre VBE NRW: Interview mit Stefan Behlau

14.07.2021

50 Jahre VBE

03.07.21, Schule heute-Interview mit Stefan Behlau, Vorsitzender VBE NRW e. V.

Stefan BehlauZitat: „„Beziehungsarbeit ist wichtig.“

Schule heute: Der VBE NRW ist in diesem Jahr 50 Jahre alt geworden. Herr Behlau, Sie hatten schon verschiedene Ämter beim VBE NRW inne, auf der Delegiertenversammlung 2017 sind Sie zum Landesvorsitzenden gewählt worden. Erzählen Sie doch mal, wie alles begann…

Stefan Behlau: Grundsätzlich kann ich wohl sagen, dass ich als Lehrerkind in den VBE hineingeboren wurde. Mein Vater war damals Sonderschullehrer und saß für den VBE im Personalrat, beziehungsweise war sogar einige Jahre Vorsitzender des Personalrats für Sonderschulen beim Kreis Aachen. Insofern war der VBE, war gewerkschaftliches und personalratliches Engagement bei uns zu Hause ein Thema, solange ich denken kann. Visuell hat mich sehr lange ein Aufkleber auf einer Kommode begleitet mit dem Slogan „Bildung ist Zukunft. Entlastet die Lehrer! Mehr Zeit für Kinder!“
Keine Ahnung aus welcher Zeit er stammt, aber die Aussage ist ja heute genauso richtig wie damals. Noch in einer der Pressemitteilungen vor den Ferien haben wir ja auch spürbare Entlastungen gefordert für alle, die Schule gestalten, eben um individuelle Förderung zu ermöglichen. Naja, auf jeden Fall war durch die familiäre Vorbelastung klar, dass ich mich gewerkschaftlich zu engagieren habe und dies, wenn möglich, auch beim VBE. Als ich dann meine Vereidigung im Siegburger Seminar hatte, war eben neben den gewerkschaftlichen Mitbewerbern auch der VBE vertreten. Und Peter Simon, damaliger Kreisverbandsvorsitzender im Rhein-Sieg-Kreis, hat den VBE sehr überzeugend und äußerst sympathisch vertreten, sodass es mir leicht gemacht wurde, trotz meines Referendariats an einer Realschule, in den VBE einzutreten. Als Lehramtsanwärter an einer Realschule war das zu der Zeit noch nicht so üblich. Zu dem Zeitpunkt hätte ich auch nicht gedacht, dass ich wenige Jahre später mit Peter zusammen im Personalrat für Grund- und Hauptschulen und im Kreisvorstand des VBE Rhein-Sieg arbeiten würde. Eine sehr spannende Zeit.
Dann kam die Veränderung in der Personalratsstruktur und plötzlich war ich Teil eines Personalrats bei der Bezirksregierung, mit einem Listenführer Bruno Quernheim – sozusagen mein erster Kontakt mit dem Landesvorstand.
2012 wurde ich in den geschäftsführenden Vorstand für den Bereich Schul- und Bildungspolitik gewählt und durfte mit Udo Beckmann, Jutta Endrusch, Hans-Gerd Scheidle, Bernhard Nolte und Ute Foit zusammenarbeiten. Da hatte ich schon Respekt – vor der Arbeit und vor den Personen. Und zumindest der familiäre Kreis hat sich geschlossen, als ich vor einiger Zeit meinem Vater die Urkunde über die fünfzigjährige Mitgliedschaft im VBE überreichen durfte.

50 VBE

Sh: Welche Überzeugung ist grundlegend für Ihr langjähriges Engagement beim VBE?

Behlau: Der VBE tritt für die Interessen der Beschäftigten in den Schulen und Bildungseinrichtungen ein und möchte Verbesserungen für das Personal erreichen, auch und gerade weil die Kinder und Jugendlichen im Mittelpunkt stehen müssen. Das kann aber nur gelingen, wenn den Lehrkräften, dem pädagogischen Personal, den Erzieherinnen und Erziehern angemessene Arbeitsbedingungen und ausreichende Mittel zur Seite gestellt werden. Und, das macht wahrscheinlich die familiäre Prägung, es muss klar sein, dass Bildung und Erziehung ganzheitlich gesehen werden müssen. Wer Brüche in Bildungsbiografien wirklich vermeiden möchte, darf keine Schräubchenkunde betreiben oder seinen Fokus nur auf einzelne Schulformen legen. Der VBE ist ein Gesamtverband und das ist richtig und wichtig, auch wenn es nicht der einfache Weg ist. Und gerade im immer wieder sehr leidenschaftlichen und emotionalen Diskurs über Schule, Erziehung und Bildung ist es für mich sehr wichtig und wertvoll, diesen Diskurs unabhängig und überparteilich führen zu können. Diese Unabhängigkeit hat der VBE stets unter Beweis gestellt.

Sh: Was bedeutet der VBE speziell für Sie?

Behlau: Der VBE ist ein Verband, der vor allem von seinem ehrenamtlichen Engagement vor Ort lebt. Die Kolleginnen und Kollegen in den Stadt- und Kreisverbänden versuchen, den unmittelbaren Kontakt zu den Mitgliedern zu halten. In Beziehung miteinander zu sein ist wichtig in der Schule, aber eben auch im Verband, und das schafft der VBE ganz gut. Gemeinsam miteinander für die Interessen der Kolleginnen und Kollegen einzutreten, das verbindet.

Sh: Ziehen wir doch einmal Bilanz – was hat sich verändert von Ihrem Start als Lehramtsanwärter in der Realschule über die Zeit als Hauptschullehrer und Schulleiter bis zu Ihrer jetzigen Tätigkeit als Vorsitzender und Hauptpersonalrat? Was hat sich verändert in der Schul- und Bildungspolitik?

Behlau: Es wäre wohl zu viel an dieser Stelle, diese Frage ausführlich zu beantworten. Der eben von mir erwähnte Aufkleber könnte so gedeutet werden, dass sich scheinbar nur wenig geändert hat. Aber das ist natürlich überhaupt nicht so. Es hat eine enorme Entwicklung stattgefunden in den Schulen und auch in den Kitas. Allein, wenn geschaut wird, was in den letzten Jahren im Bereich des Ganztags passiert ist, auch Unterrichtsentwicklung, Inklusion und Digitalisierung dürfen als Stichworte nicht vergessen werden. Die Schule aus der Zeit des Aufklebers ist nicht mehr zu vergleichen mit der Schule von heute – wohl kaum eine Institution, wohl kaum ein Berufsfeld hat einen solchen Wandel erlebt. Und dennoch bleibt das Gefühl, das sich kaum etwas geändert hat. Das liegt wohl auch an dem Blick, der häufig von außen auf die Schule geworfen wird und der stets geprägt ist durch die eigene schulische Sozialisation des Betrachters oder der Betrachterin. Es hat sich zwar viel bewegt, aber gleich bleibt, dass die Schulen immer mehr Aufgaben bekommen, doch die Ressourcen nicht rechtzeitig aufgestockt werden. Darauf deutlich hinzuweisen und Missstände zu benennen, macht die Arbeit im VBE, macht die Arbeit in der Schul- und Bildungspolitik aus, es bleibt immer alles anders. Für mich persönlich ist der Rückblick übrigens durchaus auch mit gemischten Gefühlen versehen – abgesehen von meiner Ausbildungsschule, der Realschule am Heimbach in Troisdorf, existiert keine der Hauptschulen mehr, an denen ich tätig war – das zeugt auch von einem enormen Wandel.

Sh: Eine der größten Herausforderungen, denen sich der Verband mit Ihnen als Vorsitzenden stellen musste und immer noch muss, ist sicherlich die Corona-Pandemie. Was nehmen Sie aus dieser Zeit mit?

Behlau: Die letzten Monate haben gezeigt, wie engagiert die Kolleginnen und Kollegen in den Schulen und Kitas ihrem Beruf nachgehen und diesen eben nicht nur als Job ansehen. Die Kolleginnen und Kollegen haben es geschafft, dass Erziehungs- und Bildungsarbeit trotz unzulänglicher Voraussetzungen geleistet wurde, das verdient Wertschätzung und Anerkennung. Leider haben das manche Menschen mit Verantwortung in der Politik immer noch nicht so ganz verstanden und pflegen selbst in Krisenzeiten lieber Klischees und bedienen Vorurteile und Ressentiments, statt gestärkt gemeinsam aus der Krise herauszukommen. Es wird wichtig sein, die richtigen Lehren aus der pandemischen Situation zu ziehen und die Bildungseinrichtungen wirklich zukunftsfest aufzustellen.
Der VBE wird sicher nicht lockerlassen, die Politik daran zu erinnern und eigene konstruktive Ideen in die Diskussion einzubringen.
Als Verband, als VBE, hat uns eine gute Beziehungsbasis durch die Krise getragen. Auch schwierige Diskussionen können dadurch ausgehalten und geführt werden, wenn das gemeinsame Fundament stimmt. Und auch Schicksalsschläge wie der viel zu frühe Tod Jutta Endruschs können nur gemeinsam verarbeitet und verkraftet werden. Darauf konnten und können wir uns im VBE verlassen.
Trotz der Distanz hat es der Arbeit im Landesvorstand nicht an Nähe gemangelt, an einigen Stellen sind wir sogar enger zusammengerückt. Und der geschäftsführende Vorstand hat nach meiner Meinung seine Teamfähigkeit eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Dafür bin ich sehr dankbar. Denn nur dadurch konnten wir wirksam sein und Wirksamkeit beweisen. Die Denkanstöße und auch eine erfolgreiche Personalratswahl sehe ich als Indizien für unsere Arbeit.

Sh: In Ihrem Vorwort für diese Ausgabe zitieren Sie den Dichter Ovid, der über die Wichtigkeit von Ruhepausen spricht. Wie wichtig ist es für Sie, nach einem vollen Schuljahr mit Corona, jetzt „runterzufahren“? Welche Gedanken machen Sie sich mit Blick in die Zukunft?

Behlau: Die Möglichkeit einer Ruhepause haben sich alle jetzt wirklich verdient. Vor allem mit dem Blick auf das neue Schuljahr und die erwartbaren und wahrscheinlich auch unerwarteten Herausforderungen ist es dringend notwendig, die Akkus wieder aufzuladen und neue Kraft zu sammeln. Ständig am Limit zu sein, das geht auf Dauer nicht gut. Und es liegen spannende Monate vor uns mit einer Bundestagswahl und einem anschließenden Landtagswahlkampf, in dem die Parteien zeigen können, wie wichtig ihnen das Thema Bildung ist und welche echte Wertschätzung sie den im Erziehungs- und Bildungssektor tätigen Menschen entgegenbringen. Im Schulbereich wird die amtierende Landesregierung unter Beweis stellen müssen, ob ihre Ankündigung, die notwendigen Konsequenzen für die Lehrkräftebezahlung aus dem LABG 2009 zu ziehen, nur Lippenbekenntnisse gewesen sind.
Und insgesamt ist es an der Zeit, in eine offene Diskussion einzutreten, welche Erwartungen Politik und Gesellschaft an das Bildungssystem der Zukunft haben und auf welchen Wegen diese Erwartungen erfüllt werden können oder sollen. Wir brauchen keine ideologischen Debatten, aber wir brauchen eine offene Diskussion, um unser Bildungssystem endlich gemeinsam zukunftsfest aufzustellen.

Sh: Was wünschen Sie dem VBE in den kommenden 50 Jahren?

Behlau: Der VBE wird auch in den nächsten 50 Jahren seinen bewährten Weg gehen. Es heißt immer so schön „konstruktiv-kritisch“ – aber genau das lebt der VBE und zeichnet ihn aus: Kritik ohne Mäkelei, Diskussion mit Sachverstand, klare Haltung und die Kolleginnen und Kollegen im Blick – ohne die Kinder und Jugendlichen aus den Augen zu verlieren.

Sh: Vielen Dank für das Interview.

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